Während Indonesien in der Gesamtheit ein überwiegend muslimisches Land ist – knapp 90 Prozent der fast 240 Millionen Einwohner gehören diesem Glauben an – verhält es sich mit Bali ganz anders. Über 92 Prozent der Balinesen sind hinduistischen Glaubens, der allerdings deutlich andere gelebt wird als in Indien. Hinzu kommt ein tief verankerter Glauben an Geister. Kaum habe ich mich ein wenig hiermit beschäftigt, erlebe ich hautnah mit, wie sich dieser Glaube ausdrücken kann.
Das Shift Hotel in Ubud liegt hinter dem veganen Alchemy Café. Hier finden gerade Umbauarbeiten statt, seit einigen Tagen wird gehämmert und gewerkelt. Am frühen Abend hört man plötzlich aus Richtung Alchemy immer wieder Schreie und Weinen. Es klingt, als schütte jemand seine Seele aus.
Zunächst denke ich, dass es sich dabei um eine Healing Session handelt. Viele Westler strömen – besonders seit ‘eat, pray. love’ auf der Suche nach Heilung, sich selbst oder Inspiration nach Ubud. Wie überall in Bali gibt es hier tradiotionelle Heiler, die Balians. Im Film wird Ketut Liyer dargestellt, der Heiler, den Liz aufsucht. Seine Familie vermarktet den inzwischen senilen Ketut übrigens bestens. Man kann ihn besuchen und sich den gleichen Rat anhören, den jeder suchende Reisende bekommt. Auch vermietet die Familie Zimmer an Touristen.
Auf Bali gibt es etwa 8.000 praktizierende Heiler, das sind viermal so viel Heiler wie Ärzte. Auf Schritt und Tritt hört man in Ubud Gespräche über die Erfahrungen mit den Heilern mit und inzwischen gibt es hier auch viele Expats aus heilenden Berufen oder mit einer Berufung, die sich hier niedergelassen haben, und einen regen Zustrom an hoffenden und suchenden Menschen verzeichnen. Aus der Wahrnehmung meiner Filter Bubble heraus sind das überwiegend Menschen in einer Sinnkrise, Menschen, die gerade anfangen sich die Endlichkeit unseres Daseins bewusst zu machen und oftmals westliche Frauen zwischen 20 und 50, die nicht müde werden mit leuchtenden Augen von einem der vielen Treatments zu erzählen. Die sind nicht ohne – die Menschen werden oft regelrecht malträtiert, aber ich schweife ab, dazu mehr in einem anderen Artikel.
Das Schreien und Weinen endet nicht und wird immer lauter und hysterischer und immer mehr irritierte Hotelgäste stellen Vermutungen an, was da wohl gerade passiert. Ich glaube zunächst an eine weitere überkandidelte Touristin, die sich in einer Sitzung ihren seelischen und – in der Sitzung zugefügten – körperlichen Schmerz von der Seele schreit, aber damit liege ich falsch, wie sich zeigen wird.
Als die Geräuschkulisse störend bis unerträglich wird, beschließe ich zu fragen – ich möchte verstehen. Vor dem Hoteleingang spielen sich verstörende Szenen ab. Eine junge Frau ist die Quelle der Geräusche und sie ist völlig fertig und schreit und weint auf indonesisch, während sie von einer Traube von balinesischen Mitarbeitern des Alchemy Cafés und des Hotels umringt ist. Menschen zerren an ihr, wedeln mit Räucherstäbchen vor ihrem Gesicht rum – aus meiner naiven westlichen Sicht herrscht gerade Chaos und die junge Frau , was auch immer in sie gefahren sein mag, tut mir leid.
Mit einigen anderen Gästen gehe ich schnell an der Szene vorbei. Ich komme mir ein wenig vor wie bei einem Autounfall, alle gaffen und die junge Frau ist völlig exponiert. Bei so etwas mache ich nicht mit, mir geht Sensationsgeilheit auf den Zeiger und ich beschließe, am nächsten Morgen in Erfahrung zu bringen, was los ist.
Es wird eine kurze Nacht. Als wir vom Essen zurückkommen, hat sich die Situation nicht verbessert – die Frau, die am Ende ihrer Kräfte scheint, schreit und wimmert immer wieder. Ich frage die balinesischen Mitarbeiter an der Rezeption und erfahre, dass sie einen Spirit gesehen hat und dass dieser nun durch sie spricht. Fünf Priester sind auf dem Weg.
Im Zimmer google ich mich ein wenig durchs Netz, auf der Suche nach Verstehen. Das Geweine und Geschrei setzen sich bis ca. 1 Uhr morgens fort, dann schlafe ich erschöpft ein. Wie lange es nun wirklich gedauert hat, wer weiß. Am Morgen fällt das hervorragende Frühstück, das wir sonst im Hotel bekommen, leider aus, denn das bezieht man aus dem Alchemy Café, das heute geschlossen bleibt, weil alle Mitarbeiter beten und an einer Zeremonie teilnehmen werden.
Am kleinen Haustempel versammeln sich immer mehr sehr schön gekleidete Menschen. Nun muss ich fragen: Die Mitarbeiterin des Cafés hat sich merkwürdig verhalten, erfahre ich und dann zeigte sich, dass ein Geist in sie gefahren ist – die Menschen auf Bali glauben, dass die Spirits schon immer da waren und wenn sie ein Haus bauen, dulden die Geister ihre Anwesenheit. Man teilt sich den Platz, jeden Tag wird der Geist mit Zeremonien und Opfern bedacht. Das habe ich bereits gelesen. Warum ist dieser Geist nun aufgebracht?
Wie ich erfahre, wurde der Ort, der dem Geist im Gebäude zugedacht ist, im Zuge der Umbauarbeiten an einen anderen Platz neben dem Haus verlagert. Der Geist war not amused, fuhr in die Mitarbeiterin ein und brachte durch sie seine Wut und Enttäuschung zum Ausdruck. Was getan wurde, frage ich. Und was noch getan wird.
Der Geist erzählt den Priestern durch die junge Frau, dass er nicht einverstanden ist, dass er wütend ist, dass sein Weg blockiert ist. Er verlangt, dass sein Platz an eine andere Stelle, weiter vorne in der Einfahrt des Hotels verlagert wird. Die Priester beruhigen den Geist und die erschöpfte junge Frau.
Die versammelten Menschen beten für die junge Frau, dem Wunsch des Geistes wird man entsprechen.
Ich habe nur aus der Ferne ein, zwei Bilder von den Menschen gemacht, die sich am Morgen versammeln. Mehr wollte ich nicht, das wäre zu aufdringlich.
In Bali gibt es vieles, das sich nicht direkt erschließt und ich freue mich, dass meine vorsichtige Nachfrage ausführlich beantwortet wurde. Ich bin gespannt, was ich hier noch alles erleben werde.
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