Das australische Outback steht für Leere, Abenteuer und eine fast unbegreifliche Weite. Wer hier unterwegs ist, trotzt der Natur. Giftige Tiere, sengende Sonne und oft hunderte Kilometer bis zur nächsten Ortschaft.
Zwei legendäre Züge überwinden die riesigen Distanzen auf dem roten Kontinent regelmäßig. Während der Indian Pacific sich von Sydney über die Nullabor Plain nach Perth vorarbeitet, fährt der Ghan Train der Great Southern Rail zweimal wöchentlich von Darwin im tropischen Norden bis nach Adelaide im Süden Australiens. 2979 Kilometer.
Seit ich 2005 zum Studium nach Australien kam, träumte ich von einer Fahrt im legendären Ghan. Diesmal reicht das Budget. Ich bekomme eines der letzten Tickets von Darwin nach Alice Springs. Früh am Morgen soll es losgehen.
Als das Taxi mich am Bahnhof absetzt, den nur Güterzüge und der Ghan bedienen, sehe ich ihn: Majestätisch steht er da. Da ansonsten weit und breit nichts zu sehen ist, wirkt er noch viel imposanter. Ich bin voller Vorfeude auf das Abenteuer, das vor mir liegt. Diese wahnsinnig lange Strecke durch das Outback, auch wenn ich nur bis Alice Springs fahren werde, übt schon in Gedanken eine riesige Faszination aus. Ich hoffe auf einen Fensterplatz – bei der Buchung kann man das leider weder auswählen noch erkennen – und bin gespannt auf die Mitreisenden.
Als wir endlich an Bord dürfen, bin ich erst einmal enttäuscht und muss mich zusammenreissen. Mein Platz ist ein Gangplatz, aber selbst mein Sitznachbar – ein Herr, der eigentlich 1,5 Sitze braucht – hat nur einen Blick auf das Stück Zugwand zwischen zwei Fenstern. Er ächzt und schnauft bei jeder Bewegung. Ich haste zur Schaffnerin und weil andere Passagiere erst nach mir auf die gleiche Idee kommen, ergattere ich den letzten verfügbaren Fensterplatz. Und der Sitz neben mir bleibt auch noch frei. Puuh! Ich hatte schon befürchtet, 24 Stunden ohne Aussicht mit Mr. Schnauf verbringen zu müssen.
Ich ahne nicht, wie gut ich meine Mitreisenden kennenlernen werde. Zwanzig Minuten später verlassen wir den Bahnhof, schnell liegt das überschaubare Darwin hinter uns. Mit der Entfernung zur Stadt wächst die Dichte der Termitenhügel – wir fahren durch den Litchfield Nationalpark. Es regnet leicht, noch sind wir im tropischen Norden, also nichts außergewöhnliches und schon gar nicht im australischen Sommer – es ist Regenzeit.
Bei der resoluten Schaffnerin buche ich zusammen mit Marrit aus Holland und Christian aus Frankfurt eine Bootsfahrt durch die Katherine Gorge. Der Ghan ist kein Zug, der einen bloß von A nach B bringt – das ginge mit dem Flieger schneller und auch deutlich günstiger – der Weg ist hier das Ziel.
Gerade habe ich meine Habseligkeiten – Rechner, Vorräte, Kamera, Kopfhörer – ausgebreitet, da stoppen wir und es tut sich erst einmal gar nichts mehr. Die Strecke ist nur eingleisig befahrbar – ist hier irgendwo eine Weiche und wir lassen einen entgegenkommenden Güterzug passieren?
Bald ist klar, dass es sich um einen außerplanmäßigen Halt handelt und schon kommt die Durchsage: “Ladies and Gentlemen, we have stopped due to a problem with the train. Your life is not in immediate danger.” Bis hierhin habe ich zwar kurz darüber nachgedacht, was geschieht, wenn der Zug hier in der Pampa liegen bleibt, aber so richtig Gedanken mache ich mir erst dank dieser Durchsage.
Was soll denn das heißen, mein Leben ist nicht in unmittelbarer Gefahr? Ist es also in mittelbarer? Das heißt, ich werde nicht in den nächsten Sekunden vom Blitz getroffen, aber mit den fremden Menschen, die mit mir im Waggon sitzen, in der Dürre des australischen Outbacks verenden? Dahingerafft von einer der vielen Schlangen oder unspektakulär verdurstet? Im Waggon wird jetzt lautstark diskutiert und spekuliert. alle wollen wissen, ob und wie es weitergeht. Graham aus England, der sich mal eben in der Platinum Class umgehört hat, bringt die Fakten: An einem der Räder eines Waggons hat es einen Brand gegeben. Was bedeutet das? Können wir gleich weiter?
Uns wird mitgeteilt, dass der Zug evakuiert wird und dass man uns mit Bussen nach Katherine fahren wird, wo wir an der geplanten Bootsfahrt kostenlos teilnehmen dürfen. Nur, dass es inzwischen schüttet. Vielleicht ist das Boot ja überdacht. Ich konzentriere mich darauf, dass ich den Zug verlassen soll, in the middle of nowhere. Wie weit ist es wohl bis zur Straße, und wie viele Schlangen pro Quadratmeter warten nur auf uns? Ich bin nur unwesentlich fixiert auf die Idee eines Schlangenangriffs. Wir alle machen uns gemeinsam Sorgen um die australische Oma, die wegen ihrer Thrombose die weite Fahrt im Ghan auf sich nimmt, um ihren Sohn, der sich einer Chemo Therapie unterzieht, in Adelaide zu besuchen. Sie hat starke Schmerzen in den Beinen und sollte mit Sicherheit nicht im strömenden Regen durch die Pampa laufen.
Erneut eine Durchsage:Der Zug wird an einen Bahnübergang gezogen: Passagiere der Platinumklasse werden zuerst evakuiert, dann ist die Gold Class dran und am Ende wir – ich muss an die Titanic denken und kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. Leonardo di Caprio ist weit und breit nicht zu sehen und meine Eisberg ist eine Schlange, die es wohl gar nicht gibt.
45 Minuten später steigen wir nahe der Katherine Gorge aus. Man drückt uns hauchdünne Ponchos in die Hand. Kurz ziehe ich in Erwägung, im Bus zu bleiben, aber wie oft in diesem Leben werde ich wohl noch an diesen Ort kommen. Die kleinen Boote tanzen wie Nussschalen auf dem Wasser, das stetig steigt. Einen Meter pro Stunde, wie einer der Guides stolz verkündet. Auch wenn wir alle sehr nass werden, ist die Fahrt durch die Schlucht spektakulär. Als wir zurückkommen, ist ein Teil des Bootsstegs abgesoffen, aber mit ein paar Anläufen klappt es auch mit dem Anlegemanöver.
Wir erfahren, dass der Zug jetzt langsam, ganz langsam, nach Katherine geschleppt wird, wo der defekte Wagen ausrangiert wird, damit wir weiterfahren können. Bis dahin sind wir Gäste des Country Clubs Katherine, wo man uns zum Abendessen erwartet. In meinem Kopfkino laufen zwei Filme: Der eine zeigt eine für die Einöde erstaunlich schicken und spießigen Country Club mit sich über Golf und die neuesten Schönheits-Ops austauschenden Endfünfzigern. Im Saal 2 läuft ein Road Movie mit einem abgewrackten Pub.
Die Realität übertrifft meine Filmphantasien im positiven Sinne: Der Country Club entpuppt sich als typisch australischer Pub. Daneben ist ein riesiges Zelt aufgestellt. Suppe oder Pommes hatten wir erwartet, immerhin muss der Country Club spontan über zweihundert ungeplante Gäste bewirten, aber im Zelt sieht es aus wie im Schlaraffenland: an mehreren riesigen Gasgrills bereiten flinke Hände diverse Fleischsorten zu und es ist ein riesiges Buffet mit köstlichen Salaten und anderen Beilagen aufgebaut. Dazu diverse Weine und Biere.
Ich finde ein paar der Mitreisenden wieder und schnell ist die Stimmung am Tisch ausgelassen. Unwillkürlich denke ich daran, wie eine vergleichbare Situation in Deutschland aussähe: Man hat viel Geld für einen Trip bezahlt, der Feuer und Wasser zum Opfer fällt. Natürlich würde genörgelt werden und auch bei dem wunderbaren Essen würde sich ein Haar in der Suppe finden lassen – zur Not ein platziertes. Hier ist alles ganz anders. Obwohl wir alle wissen, dass wir die Strecke durch das spektakuläre Outback nun im Dunkeln befahren werden, genießen wir den Abend. Es ist schon eine merkwürdige Party, auf der wir uns da befinden. Statt Timtams und improvisierter pappiger Toasts aus der Tüte gibt es nun ein Gelage, das seinesgleichen sucht. Als wir um halb zehn erfahren, dass es weiter geht, sind wir fast enttäuscht. Inzwischen kennen wir uns alle beim Namen und haben die Gründe fürs Alleinereisen ausgetauscht, denn alleine ist, zumindest aus unserer Gruppe, tatsächlich jeder unterwegs. Schnell zocken wir noch ein paar Flaschen Wein – wer weiß, was auf dem Weg bis Alice Springs noch passiert. Sicher ist sicher…
Zurück im Zug kehrt schnell Ruhe ein, unsere Gruppe hat sich in einer Hälfte des Waggons versammelt. Wr trinken Wein, hören ganz leise Musik und reden. Nach und nach gehen alle schlafen. Ich habe noch nie in einem Zug geduscht, also mache ich das jetzt. Mal einen Punkt auf der Bucket List abhaken, von dessen Existenz ich noch gar nichts wusste.
Ich nicke immer nur mal kurz weg und als es langsam hell wird, darf ich den Anblick des Outbacks doch noch ein wenig genießen. Wie gerne hätte ich noch ein wenig mehr gesehen, aber man kann nicht alles haben und ich habe nun eine Geschichte mehr und ein paar tolle Bekanntschaften gemacht.
In Alice Springs angekommen, stelle ich fest, dass der Ort so ganz anders ist, als ich es erwartet habe, irgendwie kommt es mir nicht vor wie „the middle of nowhere“, aber das werde ich dann sehen, wenn ich mich mit dem Leihwagen auf die Fahrt zum Ayers Rock machen werde, der selbst von hier noch 500 km entfernt liegt.
Es nieselt in Alice – Australien räumt mit allen Klischees auf.
Danke Nina für den neuen Bericht. Du schreibst so interessant und es macht unheimlich Spaß immer wieder was von dir zu lesen. Gosia
In jedem “Unglück” liegt eine Chance. Du hast sie genutzt und dadurch wird die Fahrt sicher unvergesslich sein.
Australien ist sowieso toll, aber eine Zugfahrt sicher etwas ganz spezielles. Ich träume noch von der Fahrt mit dem Indian Pacific.
Den hatte ich mir auch noch vorgenommen, aber es waren keine Plätze mehr frei. Leider wird die Red Seater Class ja jetzt auch abgeschafft…