Tokio, Seoul, Hongkong, Südafrika. Das sollten die letzten Stationen dieser Reise sein. In Kapstadt sollte es enden. Voll mit frischen Eindrücken von den big five, vom Tafelberg und gebräunt von den letzten faulen Tagen in Kapstadt wollte ich in Hamburg aufschlagen. Raus aus der Reise, rein ins Büro. Mitte März sollte das sein, wenn sich der nahende Frühling schon erahnen lässt und Deutschland nicht mehr kalt und grau ist.
Jetzt haben wir Mitte Februar und ich sitze im nassgraukalten Rheinland. Vor ein paar Tagen schwitzte ich noch in Malaysia und dachte über japanische Subkulturen und koreanisches Essen in Seoul nach, streifte durch Kuala Lumpur. Jetzt sitze ich im Dunkel auf einer Schlafcouch in Lohmar und tippe diesen Artikel. Warum?
Seit bald 30 Jahren habe ich eine beste Freundin. Dany. Oder Daniela (wenn ihre Mutter wütend ist). Wir freundeten uns an, als ihre Eltern schräg gegenüber unseres Hauses in einem kleinen Kaff namens Weegen ihr Haus bauten. Wir haben uns unsere Geheimnisse und Sorgen anvertraut, uns die Köpfe eingeschlagen, uns wieder vertragen und jede Menge Mist gebaut. Jeden Morgen liefen wir zusammen zur Schule. Ich holte sie ab, weil ich in der Küche ihrer Eltern zwar den pubertären Schwachsinn ihres Bruders über mich ergehen lassen musste, aber auch der Kälte und Lieblosigkeit ‘zuhause’ entkam. Nutellabrot und lautstarkes Miteinander statt Schweigen und stiefmütterliche Eiseskälte. Und was war meine Stiefmutter für eine eiskalte Frau.
Ich zog nach Köln und sah Dany sporadisch. Sie sah es nicht ein, mich in Köln zu besuchen – ich war ja (27 km weit) weggezogen und mich zog nichts in die Enge Lohmars. Ich war doch froh, hier raus zu sein. Als mein Vater viel zu früh – Krebs ist ein Arschloch! – starb, ging Dany mit mir zur Beerdigung. Ich weiß nicht, wie ich diesen Tag ohne sie überstanden hätte. Ich war 23 und plötzlich mutterseelenallein. Meine Familie damals kaputt.
Bis heute sind wir Freunde geblieben. Trotz der Entfernung Köln – Hamburg oder London oder Sydney. Trotz oder wegen unserer starken Charaktere. Bis in unsere 30er mit fetten und lautstarken Streitigkeiten und tränenreichen Versöhnungen. Mit mal viel, mal wenig und mal gar keinem Kontakt. Durch dick und dünn. Wenn es drauf ankommt, immer füreinander da. Das wissen wir selbst in Zeiten mit wenig Kontakt voneinander.
Und eben diese beste Freundin ist jetzt krank. In den letzten Jahren gab es immer mehr Einschläge. Vor kurzer Zeit musste sie an der Halswirbelsäule operiert werden und kurz vor Karneval nun auch noch die Lendenwirbelsäule. Sie hat zwei Kinder und einen tollen Mann. Braucht sie mich hier? Nein. Dany ist stark und hat ein tolles Umfeld. Krankenkassen zahlen Haushaltshilfen in solchen Situationen. Möchte ich hier sein? Ja, unbedingt! Warum? Weil ich mir große Sorgen mache und vor allem, weil diese Freundschaft wichtiger ist als noch vier Wochen in der weiten Welt. Und weil ich sie so gut kenne, auch wenn ich weit weg bin.
Ich weiß, dass sie noch mit dem Kopf unter dem Arm alles mögliche plant, macht und tut. Dass sie sich mehr bewegt als sie darf (sie darf gerade eigentlich fast nur liegen). Weil wir beide so sind. Ruhelos und bis zum Erbrechen unvernünftig, wenn es um die eigene Gesundheit geht.
Ich werde das durch meine Anwesenheit nicht großartig ändern können. Vielleicht ein wenig abfedern. Indem ich mit ihren Kindern Marlon (7) und Ole (5) spiele, mal das Einkaufen für ihren Mann Michel übernehme etwas koche oder mal bei den Hausaufgaben helfe. Wenn sie sich nur eine halbe Stunde am Tag mehr schont als ohne meinen Besuch, dann war es mir das Abbrechen meiner Reise wert.
Freundschaft ist wichtiger als Reisen.
Vor ein paar Tagen flog ich also von Kuala Lumpur nach Dubai und am Freitag weiter nach Frankfurt. Eigentlich sollte es der Sonntag sein und ich hatte Dany davon erzählt, aber nachdem mein Entschluss dann endlich stand, verlegte ich den Flug noch einmal vor, um am Freitag gleich von Frankfurt nach Aachen zu fahren und meine Mutter an ihrem Geburtstag zu überraschen.
Schon am Gate in Dubai fast nur Deutsche. Die Gespräche? Zu deutsch für mich, dafür war ich doch noch gar nicht wieder bereit. Ich dankte dem Erfinder von Noise Cancelling headphones – vermutlich auch ein von seinen Mitbürgern genervter Deutscher.
Bei der Ankunft in Frankfurt ist es kalt und grau, die Polizisten bei der Passkontrolle lächeln nicht. Überhaupt lächelt hier fast niemand.
Probleme mit der Leihwagenbuchung (warum geht fast sechs Monate lang alles gut und kaum in Deutschland etwas schief?), Stau und meine Müdigkeit verhinderten den Besuch in Aachen. Als ich den Leihwagen dann doch hatte, fuhr ich direkt nach Lohmar und überraschte Dany, der ich vorher schrieb, dass ich nun doch nicht nach Deutschland käme, weil meine Flugbuchung schief gegangen sei. Ja, beste Freunde sind auch schonmal grausam (Dany war übrigens gerade dabei, eine Crowdfunding Aktion an den Start zu bringen, um mir ein neues Flugticket zu kaufen).
Ich bin schon hier in Deutschland. Meine Gefühle müssen noch nachziehen. Zumindest habe ich jetzt Zeit, für Euch all die vielen tollen Orte und Erlebnisse der letzten Monate zu verbloggen, denn so viel habe ich zuletzt ja nicht mehr geschrieben. Zu sehr war ich im Moment und vor Ort und wie richtig sich das anfühlte.
Liebe Grüße aus Lohmar, Nina
Herzlich willkommen zurück in Deutschland, Nina. Auch wenn wir uns bisher noch nicht persönlich sondern nur per Mail und Chat kennen, habe ich deine Reise mit Spannung verfolgt. Ich finde, du bist eine großartige, wunderbare Frau mit einem riesengroßen Herz. Gute Besserung an Dany.
Wünsche euch beiden viel Kraft.
Vielen Dank, Olga – das ist sehr lieb von Dir. Dany geht es jeden Tag ein kleines bisschen besser. Freue mich schon, Dich in Hamburg bald mal persönlich kennenzulernen. Liebe Grüße aus dem Rheinland, Nina