Vor ziemlich genau zehn Jahren bekam ich die Nachricht, dass ich für ein Stipendium in Australien zugelassen wurde. Ein Jahr lang durfte ich in Sydney leben. Jetzt bin ich zurück in diesem Land, das ich damals lieben lernte und das mich nie losließ. Zeit für eine Liebeserklärung.
Australien ist ein beliebtes Reiseziel und doch höre ich immer wieder, dass es zu weit weg ist, zu teuer und dass andere Länder ja viel schöner sind. Auch mich verband nicht viel mit Australien, als ich mich 2005 für ein Stipendium an der Macquarie University bewarb. Um ehrlich zu sein, hatte ich ein Motivationstief im Studium und wollte mir eine künstliche Möhre vor die Nase hängen. Meine Vorstellung von Australien? Weit weg, heiß, Kängurus, alles, was giftig ist – nicht wirklich reizvoll.
In der Bewerbungsphase begann ich, mich mit dem Land und seiner Geschichte zu befassen. Der versuchte Genozid an den Aboriginals, die White Australia Policy, der Umgang mit den boat people. Ein Semester lang widmete ich mich diesen Themen und plötzlich kam die Zusage, mit der ich null gerechnet hatte – wenige Wochen später begann mein Leben in Sydney.
Ich hatte mir über das Internet eine WG gesucht – in Maroubra, nur Minuten bis zum Strand. Lieber ein langer Weg in die Uni (dort musste ich ja hin) und dafür den Ozean vor der Nase. Das abbruchreife Haus war nicht ganz, was die Anzeige auf dem australischen Portal versprochen hatte, aber ich blieb das ganze Jahr hier. Zehn Zimmer gab es in unserer WG, zwei Küchen und mehrere Badezimmer. Unsere gierige Vermieterin, die die Anzahl zehn durch das Einziehen diverser Rigips Wände erreicht hatte, sorgte dafür, dass wir auch immer schön voll belegt waren.
Diese WG war Bereicherung und Albtraum zugleich. Ich lernte tolle Menschen kennen – das ist in Australien übrigens wirklich leicht, ob man nun hier leben will oder einfach ein wenig reisen. Aus meiner Sicht ist Australien fast der perfekte Ort, um mit dem alleine reisen anzufangen. Zwar liegt es am anderen Ende der Welt, aber es ist vertraut ähnlich und überall begegnet man offenen Menschen und anderen Reisenden.
Facebook sei Dank habe ich mit vielen meiner damaligen Housemates bis heute Kontakt gehalten und einige von ihnen auch wieder gesehen – in Wien, San Francisco, Berlin, Köln und New York.
Ich freue mich sehr, in ein paar Tagen Dave, meinen australischen Mitbewohner und seine Frau Michelle aus Neuseeland wiederzusehen. Eine WG am anderen Ende der Welt. Das schweißt zusammen. Wir hatten fette Konflikte, besonders, was die Sauberkeit angeht. Als wir täglich mehr Kakerlaken als Bewohner hatten, platzte mir der Kragen: Ich kaufte für über 100 Dollar Asthmatiker-geeignete Kakerlakenfallen und -sprays, diverse Putzmittel und erstellte einen Putzplan. Mann, war das deutsch und das Echo entsprechend, aber es half – mal mehr, mal weniger.
Wir – das war ein fester Kern, bestehend aus Dave (Australien), Charlène (Frankreich) und mir, die restlichen Zimmer waren mal kürzer, mal länger belegt.
Weihnachten 2005 bekamen viele Fernweh. Das Paradies Australien wurde kurz zur Fremde für einige und kurzerhand beschlossen wir, dass jeder etwas aus seinem Land kochen würde. Gesagt, getan. Bei ca. 42 Grad im Schatten gab es Lasagne, Quiche, Spare Ribs, Käsespätzle und natürlich was vom Grill. Und es wurde gewichtelt. Selbst mir – dem Grinch – wurde es dabei kurz warm ums Herz und das lag nicht am Quecksilber.
Richtig in Australien leben, arbeiten und studieren zu dürfen hat mich dem Land sehr nahe gebracht. Es ist anders, als “nur” zu reisen – man taucht ein in die Gewohnheiten und Gepflogenheiten, erlebt Alltag, Politik und Kultur. Ich war in der luxuriösen Situation scheinfrei zu sein, als ich mein Stipendium an der Macquarie University antrat und so belegte ich einige Kurse in ‘Aboriginal Studies’, die sehr interessant waren und mich einiges über den teilweise leider noch tief verwurzelten Rassismus und die Konflikte innerhalb der Gesellschaft lehrten.
Meine Dozenten in diesen Kursen, Michael Mc Daniel und Anita Heiss haben mich tief beeindruckt. Ihr Kurs war nicht bloß ein theoretischer Ritt durch die Geschichte Australiens, sondern eine lebendige, teilweise hoch emotionale Begegnung. Die beiden teilten ihre persönlichen Geschichten – Michaels Geschwister gehören zur ‘Stolen Generation’ – als ich in Australien studierte, wusste er nicht, was aus ihnen geworden war. Anita Heiss, die inzwischen jede Menge Bücher geschrieben hat, werde ich bald in ihrer neuen Heimat Brisbane besuchen und ich freue mich riesig darauf.
Ich könnte Euch jetzt stundenlang mit meiner persönlichen Australiengeschichte zutexten, aber das erspare ich Euch. Hier meine Dinge (garantiert unvollständig), die ich an Australien liebe
Die Landschaft
Australien ist größer als Europa und erstreckt sich über mehrere Klimazonen. Tropisches Klima im Norden, Tropen etwas weiter südlich, die Wüste, das gemäßigte Klima im Süden. Die Vegetation über den Kontinent hinweg ist entsprechend vielfältig.
Die Tiere
Als ich 2005 nach Australien kam, hatte ich deutlich zu viele Beiträge von Steve Irwin gesehen und war stets darauf gefasst, von Schlangen attackiert, von Krähen zerhackt oder zumindest von der Sydney Trichternetzspinne außer Gefecht gesetzt zu werden. Man muss quasi auf Schritt und Tritt darauf gefasst sein abzutreten.
Die Realität sah so aus, dass ich in den ersten Wochen die merkwürdigsten Verhaltensweisen an den Tag legte. Unser Haus war von einer großen Mauer umgeben und um das Tor zu öffnen musste man hinüber greifen – ins Unbekannte. Mir war völlig klar, dass ich dabei eines Tages in eine giftige Spinne greifen würde, die mich natürlich töten würde. Also trat ich jedes Mal erst von außen gegen das Tor, ehe ich es wagte, es zu öffnen. Ich frage mich bis heute, was die Nachbarn dachten.
Am allerersten Tag nach meiner Ankunft – ich musste zur Begrüßung an die Uni – öffnete ich das Tor und sah mich einem riesigen, stinkenden Vogel mit einem langen Schnabel gegenüber. Ich musste mich tatsächlich erst einmal vergewissern, dass der mich nicht in kleine Teile metzeln würde und kam zu spät zum Unistart. Zu den Klängen von ‘I come from a land down under’ marschierte ich in den Hörsaal.
Die Realität? Ich habe ein Jahr Australien überlebt. Ich begegnete zweimal einer Redback Spider, zweimal hatte ich eine giftige White Tail auf dem Moskitonetz – ja, ich hatte ein Moskitonetz über dem Bett – wegen der Spinnen! Und meinen Mitbewohnern erzählte ich, dass ich das äußerst dekorativ fand. Und hey, es hat mir bestimmt zweimal das Leben gerettet 😉
Einmal lieh ich mir das Auto meines Mitbewohners und als ich tanken musste, saß eine Whitetail neben der Tankklappe. Ich trat erst einmal auf die Spinne ein und der Tankwart kam angelaufen und dachte wohl, er müsse mich einweisen lassen.
Auf dem Bild seht Ihr eine ungefährliche, aber ekelhafte Huntsman Spider, die gerade genüsslich eine riesige Kakerlake verspeist. Zum Vergleich: Der Weinkarton hat vier Liter Fassungsvermögen.
Einmal sah ich Schlangen, das war auf Tasmanien beim Hiking und da muss man nun wirklich damit rechnen und einmal wurde ich von einer Krähe angegriffen. Kein Hai hat mich gefressen, keine Qualle ins Koma gejagt und kein Känguru umgeboxt.
Es gibt neben all dem, was uns Westeuropäern Angst macht, so viel Schönheit in der australischen Natur. Mitten in Sydney sieht man Gelbhaubenkakadus, rosa Galas, die manchmal in Schwärmen durch die Stadt fliegen und kaum ist man aus den Städten raus – oft schon in den Vororten – kann man Kängurus und Koalas in freier Wildbahn sehen. In Massen! Die Schönheit überwiegt.
Ich habe damals am Maroubra Beach gekellnert, um mir etwas zum Auslands-BAföG dazu zu verdienen und bei der Arbeit habe ich immer mal wieder Delfine, Wale oder gelegentlich auch mal einen Hai gesehen – arbeiten mitten in der Natur und zugleich in der Großstadt.
Der Taronga Zoo in Sydney ist übrigens der Hammer! Tolle Aussicht und wirklich schön gemacht (auch wenn ich sonst kein Fan von Zoos bin).
Die Strände
Australien hat über 10.000 Strände und einer ist schöner als der andere. Sydney hat viele Stadtstrände, gleich hinter Melbourne beginnt die Great Ocean road….
Die unfassbare Weite
Australien ist größer als Europa und hat gerade einmal 23 Millionen Einwohner, die sich überwiegend auf die Städte Sydney, Melbourne, Brisbane und Perth aufteilen. Der Rest dieses riesigen, wunderschönen Landes ist zum Großteil menschenleer.
Hier kann man die wunderschönsten Strände oder traumhafte Aussichtspunkte in den Nationalparks schon einmal ganz für sich alleine haben und das verleiht dem Reisen eine besondere Magie. Natürlich sind alle diese Orte schon bereist worden, aber man kann sich der Illusion hingeben, ein Abenteurer, ein Entdecker zu sein. Wie anders ist das doch an so vielen Orten der Welt, die man nicht einmal eine Minute lang in Ruhe genießen darf.
Barbie (Grillen)
Ich liebes es zu grillen und auch wenn ich anfangs naserümpfend vor den riesigen Gasgrills der Australier stand – Weber hatte sich da in Deutschland noch nicht durchgesetzt – die Australier sind für mich die Grillweltmeister.
Sie investieren Zeit, Geld und Liebe und wenn man zu jemandem nach Hause eingeladen wird, wird eigentlich immer gegrillt.
An vielen Stränden gibt es öffentliche Gasgrills. Man wirft ein paar Münzen ein und los geht’s. und die Dinger sind picobello sauber.
Ich habe gegrillte Meeresfrüchte aller Art, Fisch, Gemüse, Känguru und Krokodil probieren dürfen. Auf die verschiedensten Arten zubereitet.
Das Barbie, wie das Barbecue in Australien genannt wird (Australier lieben es, Dinge abzukürzen, Arvo ist übrigens kurz für afternoon) ist aus dem Alltag nicht wegzudenken und wie gut ist das bitte!
Die Lebensqualität
Wie oft sitze ich in Hamburg und wünsche mich ans Meer oder in die Berge, träume davon, etwas aufregendes zu unternehmen und ja, Deutschland hat eine Menge zu bieten, aber das ist – sorry – ein Scheiß gegen die Lebensqualität in Australien.
In Sydney kann man in Laufweite zu einem wenig frequentierten Strand leben, morgens teilt man sich den Strand mit einigen wenigen Menschen, die vor der Arbeit joggen, surfen oder eine Runde auf dem Boogie Board durchs Wasser zischen. Auf dem Bild seht Ihr den Maroubra Beach in Sydney. Hier habe ich gelebt und obwohl der Strand genau so schön wie der Bondi Beach ist, gibt es hier kaum Touristen, während sich ein paar Kilometer entfernt die Menschen im Sommer wie die Ölsardinen an den Strand quetschen. Ich mag Bondi auch und man kann dort toll shoppen und hat tolle Café, Restaurants und Pubs, aber mein Maroubra Beach? Hach….
Meer oder Berge? zumindest in Sydney stellt sich die Frage nicht, liegen doch die Blue Mountains unweit der Stadt.
In Sydney gibt es nette Pubs und Clubs zuhauf und shoppen kann man wunderbar, ob in der Innenstadt oder in den schönen Läden Paddingtons oder Newtowns.
Der Fairness halber muss ich sagen, dass in anderen Städte am Spätnachmittag die Bürgersteige hochgeklappt werden. In Perth haben wir gerade an einem Freitag in einem echt netten Pub mit einer größeren Gruppe einen Geburtstag gefeiert und wurden schon kurz vor Mitternacht dazu aufgefordert, die letzte Runde zu bestellen.
Das after work Bierchen
Hier merkt man, den englischen Einfluss. Ich habe es immer sehr genossen, mit meinen Kollegen nach der Arbeit noch ein Bierchen oder zwei zu trinken. Manchmal einfach hinter dem Café, manchmal im Pub. So endet ein harter Arbeitstag entspannt und man lernt immer wieder neue Leute kennen, denn da sind die Australier wie die Kölner: sie mischen sich gerne mal ins Gespräch ein oder quatschen Dich einfach an und auch das liebe ich als alte Rheinländerin sehr.
Die Menschen
O.k., Australier haben keine ausgeprägte Streitkultur und sind wenig konfliktfähig; das merkt man als Tourist nicht, aber wenn man eine zeitlang hier lebt, schon. Aber dafür sind sie immer für jeden Spaß zu haben, total interessiert, hilfsbereit bis zum Abwinken und einfach laid-back. Das tut gut, wenn man aus einem Land kommt, in dem die meisten Menschen immer sehr angestrengt damit beschäftigt sind, sich konform zu verhalten.
Ein Beispiel aus meinem Leben in Australien: Ich musste nach Fiji, um mein Visum zu verlängern (das geht bei manchen Visa nur von außerhalb Australiens) und um das neue Visum zu bekommen, musste ich nachweisen, dass ich über genug Geld verfüge, um im Zweifelsfall dem australischen Staat nicht zur Last zu fallen. Ich war aber Studentin und als solche chronisch pleite. Die Mutter meiner Chefin nahm mich mit, um für das Café, in dem ich arbeitete einzukaufen. Unterwegs hielten wir an einer Bank und sie nahm mich mit, hob 10.000 Dollar ab und drückte sie mir in die Hand. Ich könne sie ja dann nach Rückkehr aus Fiji wieder auf ihr Konto einzahlen. Hallo???!!! Sie wollte nicht einmal etwas schriftlich haben und hat es mir mit dieser vertrauensvollen Geste so leicht gemacht, mein neues Visum zu bekommen, auch wenn ich dann am Ende in Deutschland blieb.
Das Wetter
Ja, in Australien regnet es auch und im Winter kann es ganz schön kalt werden – in manchen Gegenden schneit es sogar. Trotzdem liebe ich das Wetter in Australien. Alles ist hier intensiver. Das Licht, die Farben, die Wolken, die Kraft der Sonne.
Gerade am Strand lassen sich manchmal tolle Naturschauspiele beobachten. Nach einem Zyklon weit draußen auf dem Meer hatten wir am Maroubra Beach fast zwei tage lang unfassbar mächtige Wellen.
Gerade erst gab es in Sydney ein seltenes Naturschauspiel – eine Böenwalze hatte sich gebildet.
Ich könnte die Liste der Dinge, die ich an Australien liebe, endlos fortsetzen, aber es ist ein sonniger Tag in Perth und da muss ich jetzt einfach an den Strand.
Liebe Grüße ins verschneite Deutschland, Nina