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Reisen macht glücklich?

Den Artikel hab ich schon in Australien geschrieben, war aber noch unschlüssig, ob ich ihn wirklich – so ungefiltert verfasst – veröffentlichen mag. Aber ja, ich mag.:

Ich muss mir da mal was von der Seele schreiben.

Ich spüre in Gesprächen und beim Austausch über Social Media immer wieder diese Erwartungshaltung, dass mir die Sonne aus dem Arsch scheinen muss, weil ich gerade etwas tue, was für viele Menschen ein Leben lang ein Traum bleiben wird. Ich habe sechs Monate frei vom Job, mein Gehalt läuft weiter, weil ich es vorher auf einem Lebensarbeitszeitkonto ansparte und ich sehe Orte, die wunderschön sind und treffe wunderbare Menschen. Sammle jeden Tag neue Eindrücke, lerne, sauge auf. Da muss man jetzt aber bitte glücklich sein!

Muss ich? Muss ich nicht! Bin ich einen Großteil der Reisezeit und das freut mich, aber ich bin auch traurig, wütend, frustriert, ängstlich, denn ich reise nicht, um vor etwas wegzurennen, ich verdränge nicht. Ich stelle mich. Allem, was da kommt. Wer mich besser kennt, weiß, dass ich das immer tue. Und dass mein Leben kein Ponyhof ist.

Es kribbelt mich seit langem, diesen Artikel zu schreiben, aber die besten Gedanken dazu und wirklich druckreife Überlegungen kommen immer gerade dann, wenn ich Auto fahre. Was ich hier in Australien sehr viel tue. Aber ich verabschiede mich jetzt von dem Anspruch, einen tollen Text zu schreiben und lasse meine Gedanken jetzt in die Tastatur fließen, ohne sie in schöne, schaue Worte zu packen.

Ich bin 40. Ich bin Single. Ich mache die Reise meines (hoffentlich nur bisherigen) Lebens. Sechs Monate mit mir alleine. Ich habe so lange davon geträumt, das zu tun. Erst alleine, dann mit meinem Freund, mit dem ich so viele Luftschlösser baute, an deren Fundamenten aber nur einer baute. Versteht mich nicht falsch, ich liebe jeden Moment meiner Zeit unterwegs, auch die schlechten – im Nachhinein werden das wohl auch die wichtigeren Momente gewesen sein. Ich wusste, dass ich mir nicht werde ausweichen können, wenn ich alleine reise und ich wollte das. Will es noch.

Ich möchte einfach nur mal klarstellen, dass Glück nicht durch Geld oder eine Reise zu erlangen ist – Glück ist sowieso nichts dauerhaftes. Glück sind die vielen kleinen Momente. Ein erster Kuss mit jemandem, den man toll findet, der erste Blick auf einen neuen Ort, wenn man um eine Kurve fährt, die Sonne, die nach einem langen Flug die Haut wärmt, der Geruch des Meeres, ein toller Abend mit Freunden, ein Blickkontakt, ein Gespräch mit einem Fremden. Man kann es nicht festhalten, nur genießen, solange es währt.

Reden wir über Zufriedenheit. Bin ich zufrieden? Unterm Strich ja. Ich habe einen Job, der mir Spaß macht und den ich gut kann, ich habe nicht viele Freunde, aber die wenigen, die ich habe, sind toll. Ich bin halbwegs gesund und ich reise durch die Welt, bin sechs Monate lang mein eigener Chef. Das ist Freiheit, die ich unfassbar wertschätze.

Ich habe aber eben auch eine harte Zeit hinter mir, die mich noch beschäftigt. Mal tagelang nicht, dann wieder ganz intensiv. Da war die Trennung von einer großen Liebe. So vieles lief schief, so sehr habe ich gekämpft. So oft wollte ich gehen. Dann ging er. Auf übelste Weise.

Da war der Selbstmord einer Freundin, die ich erst ein Jahr lang kannte, die mir aber ehr viel bedeutete und die mir fehlt. Die meine manchmal etwas ungezügelte Energie immer richtig einzuordnen wusste und die mich für meinen Tatendrang und meine Entschlossenheit mochte.

Da ist die Tatsache, dass ich 40 bin und jetzt wieder Single. Mal finde ich das super, weil ich mich mal um mich selbst kümmern kann, was bitter nötig ist, mal vermisse ich ihn, obwohl er das wirklich nicht verdient. Weil er mich so enttäuscht und verletzt hat, wie ich es keinem Menschen je zugetraut hätte. Und es fällt mir s schwer, das hier zu schreiben. Ich weiß nicht einmal, was ich jetzt will. Das ist wohl die weibliche Midlife Crisis. Für Kinder ist es jetzt zu spät, ich weiß aber auch gar nicht, ob ich das könnte oder wollte. Ich kann sehr gut mit ihnen und manchmal war oder ist da der Wunsch und dann denke ich wieder, das geht gar nicht. Muss ich nun nicht mehr entscheiden, entscheidet das Leben für mich.

Manchmal stelle ich mich selbst völlig infrage. Obwohl ich eigentlich genau weiß, dass ich gut bin wie ich bin. Trotzdem. 40 und alleine, da kann man ja auch mal grübeln. Sehr viele Freunde sind nicht geblieben, die Trennung hat ein paar gekostet. Die Beziehung auch schon. Meine beste Freundin ist gesundheitlich fett angeschlagen, eine andere sehr gute Freundin kämpft ihren ganz eigenen Kampf. Ich leide mit. Bei beiden und mich macht das nachdenklich.

Ich habe drei Brüder – mit keinem von ihnen habe ich Kontakt. Die beiden jüngeren aus der zweiten Ehe meines Vaters wurden von Kindesbeinen an von meiner Stiefmutter (es gibt diese unfassbar dunklen, kalten Menschen nicht nur in Märchen) gegen meinen älteren Bruder und mich aufgehetzt. Mein älterer Bruder hat immer wieder Phasen, in denen er nicht mit mir spricht. Für gewöhnlich renne ich ihm dann hinterher, weil er mir viel bedeutet. Diesmal nicht. Und das ist ok.

Wir ballern unser Leben so zu mit Dingen, die nicht wichtig sind: Karriere, Konsum, TV, Social Media. Immer mehr, immer schneller. Fühlt sich gut an, wir leben in einer Leistungsgesellschaft, wollen höher, weiter. Dazu gehören, andere überflügeln. Uns selbst. Warum? Die letzten Jahre habe ich zu viel gearbeitet: Im Job und an meiner Beziehung. Mich abgearbeitet. Ich bin reflektiert und habe mir dennoch oder gerade deswegen einen Therapeuten gesucht. Trennung verarbeiten, Persönlichkeit weiter entwickeln.

Auf meiner Reise habe ich gelernt, dass ich auch langamer kann. Dass Yoga und Meditation mir unfassbar schwerfallen und doch so gut tun. Ich frage mich manchmal, wie viele Menschen außer mir beim Meditatonsteil einer Yoga Stunde minutenlang still weinen. Es tut gut.

Vielleicht habe ich es immer wieder aufgeschoben, diesen Artikel zu schreiben, weil das so persönlich ist, aber ich habe noch nie Probleme gehabt, meine Gedanken und Gefühle zu teilen, es ist wohl wieder der Anspruch, das auf den Punkt zu bringen und das kann ich nicht, denn diese Kopfgeburt ist ja auch eine Reise, auf der ich mich noch befinde.

Ich weiß im übrigen sehr genau, dass hier auch Menschen mitlesen, die mich nicht ausstehen können. Die verfolgen, was ich auf sozialen Medien tue und sich daran aufgeilen, wie scheiße sie mich finden. Aber wisst Ihr was? Ihr könnt mich mal am Arsch lecken! Konntet Ihr schon immer. Ich habe Euch schon immer Futter geliefert und werde das weiter tun – erstickt doch daran oder macht damit, was Ihr wollt.

Ohje, wie kriege ich jetzt die Kurve dazu, dass meine Reise toll ist. Trotz oder gerade wegen all des Ballasts, den ich mit mir durch die Welt trage und der gelegentlich hochkommt?

Dieser Artikel klingt viel zu frustriert, zu traurig. Es geht mir gut, sehr gut sogar. Ich bin in Australien, einem Land, das so viel Schönheit hat, das ein Leben nicht ausreicht,  alles zu entdecken. Ich habe in vier Monaten so wenige Regenstunden gehabt, dass ich sie an einer Hand abzählen kann. Gerade heute hat das Leben mir wieder ein Dauerlächeln ins Gesicht gezaubert: Ich stand an, um mir einen Kaffee zu kaufen und vielleicht ein Frühstück und während des Anstehens kam ich mit dem Mann hinter mir ins Gespräch, der dann einfach so meine komplette Bestellung mit bezahlte. Only in Australia! Mir passieren auf dieser Reise dauernd diese Dinge. Es gibt so viele wunderbare Menschen auf dieser Welt. Unfassbar.

 

Zurück in Deutschland – das Ende einer Reise

Tokio, Seoul, Hongkong, Südafrika. Das sollten die letzten Stationen dieser Reise sein. In Kapstadt sollte es enden. Voll mit frischen Eindrücken von den big five, vom Tafelberg und gebräunt von den letzten faulen Tagen in Kapstadt wollte ich in Hamburg aufschlagen. Raus aus der Reise, rein ins Büro. Mitte März sollte das sein, wenn sich der nahende Frühling schon erahnen lässt und Deutschland nicht mehr kalt und grau ist.

Jetzt haben wir Mitte Februar und ich sitze im nassgraukalten Rheinland.  Vor ein paar Tagen schwitzte ich noch in Malaysia und dachte über japanische Subkulturen und koreanisches Essen in Seoul nach, streifte durch Kuala Lumpur. Jetzt sitze ich im Dunkel auf einer Schlafcouch in Lohmar und tippe diesen Artikel. Warum?

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Seit bald 30 Jahren habe ich eine beste Freundin. Dany. Oder Daniela (wenn ihre Mutter wütend ist). Wir freundeten uns an, als ihre Eltern schräg gegenüber unseres Hauses in einem kleinen Kaff namens Weegen ihr Haus bauten. Wir haben uns unsere Geheimnisse und Sorgen anvertraut, uns die Köpfe eingeschlagen, uns wieder vertragen  und jede Menge Mist gebaut. Jeden Morgen liefen wir zusammen zur Schule. Ich holte sie ab, weil ich in der Küche ihrer Eltern zwar den pubertären Schwachsinn ihres Bruders über mich ergehen lassen musste, aber auch der Kälte und Lieblosigkeit ‘zuhause’ entkam. Nutellabrot und lautstarkes Miteinander statt Schweigen und stiefmütterliche Eiseskälte. Und was war meine Stiefmutter für eine eiskalte Frau.

Ich zog nach Köln und sah Dany sporadisch. Sie sah es nicht ein, mich in Köln zu besuchen – ich war ja (27 km weit) weggezogen und mich zog nichts in die Enge Lohmars. Ich war doch froh, hier raus zu sein. Als mein Vater viel zu früh – Krebs ist ein Arschloch! –  starb, ging Dany mit mir zur Beerdigung. Ich weiß nicht, wie ich diesen Tag ohne sie überstanden hätte. Ich war 23 und plötzlich mutterseelenallein. Meine Familie damals kaputt.

Bis heute sind wir Freunde geblieben. Trotz der Entfernung Köln – Hamburg oder London oder Sydney. Trotz oder wegen unserer starken Charaktere. Bis in unsere 30er mit fetten und lautstarken Streitigkeiten und tränenreichen Versöhnungen. Mit mal viel, mal wenig und mal gar keinem Kontakt. Durch dick und dünn. Wenn es drauf ankommt, immer füreinander da. Das wissen wir selbst in Zeiten mit wenig Kontakt voneinander.

Und eben diese beste Freundin ist jetzt krank. In den letzten Jahren gab es immer mehr Einschläge. Vor kurzer Zeit musste sie an der Halswirbelsäule operiert werden und kurz vor Karneval nun auch noch die Lendenwirbelsäule. Sie hat zwei Kinder und einen tollen Mann. Braucht sie mich hier? Nein. Dany ist stark und hat ein tolles Umfeld. Krankenkassen zahlen Haushaltshilfen in solchen Situationen. Möchte ich hier sein? Ja, unbedingt! Warum? Weil ich mir große Sorgen mache und vor allem, weil diese Freundschaft wichtiger ist als noch vier Wochen in der weiten Welt. Und weil ich sie so gut kenne, auch wenn ich weit weg bin.

Ich weiß, dass sie noch mit dem Kopf unter dem Arm alles mögliche plant, macht und tut. Dass sie sich mehr bewegt als sie darf (sie darf gerade eigentlich fast nur liegen). Weil wir beide so sind. Ruhelos und bis zum Erbrechen unvernünftig, wenn es um die eigene Gesundheit geht.

Ich werde das durch meine Anwesenheit nicht großartig ändern können. Vielleicht ein wenig abfedern. Indem ich mit ihren Kindern Marlon (7) und Ole (5) spiele, mal das Einkaufen für ihren Mann Michel übernehme etwas koche oder mal bei den Hausaufgaben helfe. Wenn sie sich nur eine halbe Stunde am Tag mehr schont als ohne meinen Besuch, dann war es mir das Abbrechen meiner Reise wert.

Freundschaft ist wichtiger als Reisen.

Vor ein paar Tagen flog ich also von Kuala Lumpur nach Dubai und am Freitag weiter nach Frankfurt. Eigentlich sollte es der Sonntag sein und ich hatte Dany davon erzählt, aber nachdem mein Entschluss dann endlich stand, verlegte ich den Flug noch einmal vor, um am Freitag gleich von Frankfurt nach Aachen zu fahren und meine Mutter an ihrem Geburtstag zu überraschen.

Schon am Gate in Dubai fast nur Deutsche. Die Gespräche? Zu deutsch für mich, dafür war ich doch noch gar nicht wieder bereit. Ich dankte dem Erfinder von Noise Cancelling headphones – vermutlich auch ein von seinen Mitbürgern genervter Deutscher.

Bei der Ankunft in Frankfurt ist es kalt und grau, die Polizisten bei der Passkontrolle lächeln nicht. Überhaupt lächelt hier fast niemand.

Probleme mit der Leihwagenbuchung (warum geht fast sechs Monate lang alles gut und kaum in Deutschland etwas schief?), Stau und meine Müdigkeit verhinderten den Besuch in Aachen. Als ich den Leihwagen dann doch hatte, fuhr ich direkt nach Lohmar und überraschte Dany, der ich vorher schrieb, dass ich nun doch nicht nach Deutschland käme, weil meine Flugbuchung schief gegangen sei. Ja, beste Freunde sind auch schonmal grausam (Dany war übrigens gerade dabei, eine Crowdfunding Aktion an den Start zu bringen, um mir ein neues Flugticket zu kaufen).

Ich bin schon hier in Deutschland. Meine Gefühle müssen noch nachziehen. Zumindest habe ich jetzt Zeit, für Euch all die vielen tollen Orte und Erlebnisse der letzten Monate zu verbloggen, denn so viel habe ich zuletzt ja nicht mehr geschrieben. Zu sehr war ich im Moment und vor Ort und wie richtig sich das anfühlte.

Liebe Grüße aus Lohmar, Nina